Der Denkzettel
Siegfried Lenz

In Bollerup, Nachbarn, ließ sich der Winter deshalb so gut aushalten, weil jeder 
auf ihn vorbereitet war. Kaum waren die Felder leer, kaum waren die Mieten 
aufgeschichtet, die Ställe überholt, die Boote im Schuppen und die Knicks 
ausgedünnt, da sorgten sie auch schon vor, um den Winter mehr als erträglich zu 
machen - einen ziemlich einfallslosen Winter übrigens, der sich immer den 
gleichen Nordost vorspannte, um Grauschleier über die Ostsee zu ziehen, 
großflockiges Stiemwetter zu inszenieren oder, aber das erst im Januar, 
löcherige Eisschollen den verkrusteten Strand hinaufzudrücken. 
Um sich also auf diesen Winter einzurichten, zogen manche Leute von Bollerup 
gleich nach den letzten herbstlichen Feldarbeiten in die benachbarten Misch- und 
Kiefernwälder und ließen da ihre Bandsägen singen. Mit extra schweren Äxten 
hieben sie Bäume von der Steilküste los, schräg in der Luft hängende Buchen 
meistens, die der letzte Sturm fast, aber eben nur fast aus lehmigem Boden 
gerissen hatte. Zugesägt wurde da, aufgeklaftert, mit Hilfe von klingenden 
Eisenkeilen gespalten, und dann transportierten sie das geschlagene Holz aus 
allen Richtungen nach Hause und schichteten es auf, in lustvoll hochgezogenen 
Stapeln: vor allen Ställen, vor den Küchen, so hoch, daß manch einem die Fenster 
zuwuchsen. 
Keiner in Bollerup sägte verbissener, keiner spaltete und schichtete das Holz 
genüßlicher als Franz Jesper Feddersen, mein Großonkel, den sie hier, solange 
ich weiß, nur den Pedder nannten, weil er unweigerlich in alles reintrat, dem 
jeder gefühlvolle Mensch nach Möglichkeit ausweicht. Natürlich genügte es dem 
Pedder nicht, Freude aus vorsorgender Arbeit zu beziehen; als ob er zwei, wenn 
nicht gar drei Winter hintereinander erwartete, schichtete er seine harzigen 
Klafter bis zum Dach auf. Allerdings muß ich zugeben, daß er diese besessene 
Vorsorge nicht nur seinetwegen traf; sie galt ebenso meiner Großtante Helene 
Feddersen, einer rechteckigen, übertrieben fröstelnden Person, die auch an 
Sommerabenden ihren Wintermantel trug. Jedenfalls sagten beide wörtlich von 
sich, daß sie "mit der Kälte auf Kriegsfuß stünden" - etwas Ähnliches hat man 
bestimmt schon gehört. Es paßte ganz gut zu diesem Franz Jesper Feddersen, daß 
er sich, als der Wind nach Nordost umsprang, gegen den beruhigenden Holzvorrat 
lehnte und, auch wenn dabei die Augen tränten, ausdauernd in den Wind starrte, 
als erwarte er den Winter persönlich. 
Der kam, wie so oft, über Nacht, setzte ganz Bollerup Schneemützen auf, füllte 
Mulden und machte die Felder scheckig, und dem Schilf am Strand verlieh er eine 
Starre, daß es bei jedem Luftzug knackte und raschelte. Darauf hatte der Pedder 
nur gewartet: Eifrig und, ich muß es sagen, auch geringschätzig trug er einige 
Arme voll Holz ins Haus und fütterte den Ofen so ausgiebig, daß sogar die beiden 
Katzen ins Freie drängten und der Postbote vorübergehend die Sprache verlor. Ich 
kann mir vorstellen, daß dieser Franz Jesper Feddersen sich zufrieden die Hände 
rieb, wenn draußen der eisige Wind um sein Haus ging, und daß seine eigensinnige 
Freude nur wuchs, wenn der Frost am Brandteich mit der Peitsche knallte. 
So ein Winter von der herrschsüchtigen Art war es, als der Pedder eines Tages 
feststellte, daß seine Holzvorräte gewissermaßen die Schwindsucht bekamen: hier 
war etwas geschrumpft, dort eingefallen, von den Seiten hatten sich Klafter 
davongemacht, unter der mit Steinen beschwerten Teerpappe, die alle Stapel vor 
Nässe schützte, hatten sie sich herausgezogen und das Weite gesucht - es sah 
ganz danach aus, als wären sie vor seinem Ofen geflohen, der unablässig für zwar 
würzige, aber beinahe glühende Luft sorgte. Helene hatte das Holz nicht in 
seiner Abwesenheit verbraucht, das ergab ein einsilbiges Verhör, und da auch der 
Postbote es nicht mitgenommen haben konnte - er, der niemals fror, der sich 
sogar mit der Axt scharfkantige Löcher ins Eis hackte, nur, um nicht auf sein 
winterliches Bad zu verzichten -, und da seine Klafter auch nicht von allein 
Beine bekommen haben konnten, wurde Franz Jesper Feddersen zunächst nichts 
anderes als argwöhnisch. Äußerte noch keinen Verdacht, wurde noch nicht unruhig, 
trug nur, wie gesagt, seinen Argwohn durchs Haus. Der konnte allerdings nicht 
verhindern, daß in gewissen knirschenden Nächten die Holzstapel abermals 
schrumpften, besonders die gleichmäßig und ausdauernd brennenden Buchenkloben 
verschwanden spurlos, worauf der Pedder,
nachdem er den Milchnapf der Katzen zum zweiten Mal zertreten hatte,
auf stille Art beschloß, sich auf die Lauer zu 

legen. 
Ich wundere mich nicht darüber, daß seine Lauer nichts einbrachte, daß er keine 
gebückten Schatten entdeckte, die, an der Scheune bedrohlich vergrößert, die 
Stapel plünderten und sich unter knarrenden Lasten davonmachten - und zwar 
deshalb nicht, weil er in der pochenden Hitze des Hauses schon nach wenigen 
Minuten schläfrig wurde und einschlief. Am nächsten Morgen fehlte etwa die Menge 
Holz, mit der er, nach seinen Worten, dem Winter drei Tage lang eins auswischen 
konnte. 
Mit reichlicher Verzögerung, wie es seinem Temperament entsprach, suchte er im 
verharschten Schnee neben den Holzstapeln nach Fußspuren; da waren Katzen 
vorbeigeschnürt, seine eigenen Pelzstiefel hatten Abdrücke hinterlassen, er 
entzifferte Helenes Spur und die Spuren von Kaninchen, und dann, als er schon 
aufgeben wollte, entdeckte er die befremdlichen Fußstapfen eines Wesens, das 
sich sowohl tretend als auch schleifend vorwärtsbewegte. Während der eine Fuß 
also für ordentliche Abdrücke sorgte, schien der andere nur zischend über den 
Schnee gefahren zu sein - eine Erscheinung, die Franz Jesper Feddersen so 
beeindruckte, daß er die Spur verfolgte, durch den Gemüsegarten, gebeugt am 
schlappen Grünkohl vorbei, weiter über das verschneite Feld in Richtung 
Hünengrab, und immer noch gebeugt bis zu einem flachen, gleichwohl 
spurentilgenden Bach. Weiter ging er nicht, weiter lohnte es sich nicht zu 
gehen. Er sah auf und erblickte die beiden letzten Gehöfte von Bollerup, aus 
deren Schornsteinen es, wenn auch nicht friedlich, so doch dekorativ qualmte: In 
einem lebte Jörn, im andern Jens Otto Feddersen, der Dorsch. Grinsend trottete 
er dann nach Hause, gerade so, als ob er schon genug wüßte, kam also an und fand 
eine Großtante Helene, die vor Erregung, ihr Gesichtszucken bekommen hatte. 
Natürlich hatte sie den rapiden Schwund der Holzvorräte entdeckt, und in ihrer 
vorauseilenden Sorge sah sie sich nicht nur fröstelnd, sondern bereits steif und 
festgefroren. "Als Eiszapf", sagte sie, "wirst sehen, Jesper, daß ich noch als 
Eiszapf ende, wenn unsere Vorräte so das Laufen kriegen." Sie wimmerte. Sie 
erregte sich. Sie drohte zum Fenster hinaus in Richtung Hünengrab. 
"Herrgottnochmal", rief sie, oder so ähnlich, "vielleicht hat uns jemand den 
Kältetod zugedacht, und du, Jesper, siehst zu!" - "Bisher", sagte der Pedder, 
"ist noch kein Grund zur Panik, aber damit das Gesichtszucken nachläßt, könnte 
ich ja was unternehmen." 
Danach trug er gemächlich eine Anzahl Holzscheite in die Wohnung, höhlte diese 
Holzscheite nacheinander aus, schnappte sich das Säckchen mit Schwarzpulver und 
machte aus den Scheiten sozusagen hölzerne Granaten. Die Höhlungen wurden 
sorgfältig verschlossen, die Scheite wieder hinausgetragen zu den Stapeln und 
dort so verteilt, daß der Dieb, von welchem Ende er auch Pedders Holz abtrug, 
zumindest ein mit Pulver gefülltes Scheit nach Hause tragen mußte. Das reichte 
allerdings nicht aus, um Helenes Furcht vor einem Kältetod zu verringern. "Auf 
die Lauer legen mußt du dich", sagte sie. "In die kalte Scheune einsperren mußt 
du ihn", sagte sie, "und zwar zumindest für drei Tage." Franz Jesper Feddersen 
winkte langsam ab und antwortete mit unheilvollem Lächeln: "Was seinen Lauf 
nehmen soll, hat schon seinen Lauf genommen, denn letzte Nacht ist wieder Holz 
verschwunden." 
Während Helene Feddersen jammernd die Hände rang, die verbliebenen Holzscheite 
abzählte und sogar erwog, sie mit verräterischer Farbe zu streichen, schleppte 
der Pedder wortlos zwei bequeme Stühle vor das Fenster, das den Blick in 
Richtung Hünengrab freigab, nötigte die Frau, Platz zu nehmen und die Dächer der 
beiden letzten Gehöfte, insbesondere das von Dorsch Feddersen, "still im Auge zu 
behalten", wie er sagte. Und er sagte auch: "Warum alles aus mißlicher Nähe 
regeln, wenn es auf Entfernung viel unterhaltsamer geht?" Und dann warteten sie 
noch ein bißchen länger, noch etwas, meinetwegen können sie Tee mit Kandis 
trinken oder zwischendurch eine Fliederbeersuppe löffeln, die ja auch gegen 
Kälte gut ist - jedenfalls müssen sie sich bis zu violetter Winterdämmerung 
gedulden. 
Gerechter Lohn des Wartens: auf einmal spielte Jens Otto Feddersens Ofen in 
seinem Haus Silvester. Nach einer schön gezackten Stichflamme schossen sprühende 
Wunderkerzen durch die Fenster, flammende Knallfrösche hüpften zum Bach hinab, 
eine helle, rotierende Sonne stieg in die Luft, und das schwere, das 
schneebemützte Dach lüftete sich ein wenig und sackte mit gestöhntem U-Laut 
wieder zurück - so tief, daß es auf dem Haus lag wie eine Mütze, die man viel zu 
tief in die Stirn gezogen hat. Eine Feuersbrunst entstand nicht. 
Franz Jesper Feddersen forderte seine Frau auf, sich kältegerecht anzupellen, 
warf selbst die gefütterte Joppe über, und dann stiefelten sie beide in Richtung 
Hünengrab und weiter zu den letzten Gehöften, wo ein versengelter Dorsch hastig 
Hausrat und wertvollen Besitz ins Freie trug, unter anderem auch sein aus Eiche 
angefertigtes Holzbein für sonntags. Bevor ihm Pedder seine Hilfe anbot, 
erkundigte er sich teilnahmsvoll nach dem Grund des Unglücks. "Ach", sagte Jens 
Otto Feddersen, "war man nix als der Ofen, ist einfach vor Altersschwäche 
explodiert." - "Soll vorkommen", sagte der Pedder, "aber ich hab' auch schon 
gehört, daß manche Öfen nur deshalb explodieren, weil ihnen ein gewisses Holz 
nicht bekommt." - "Das", sagte der Dorsch, "kann gut sein, darum werde ich mir 
nächstens das Holz von weiter weg herholen."


10. Dezember
 
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